Aprilia Tuono 457, Ich bin kein Profi-Tester. Eher der Typ Hobby-Blogger mit zu vielen Handschuhen, zu wenig Zeit und einer Vorliebe für Motorräder, die wirklich fahren wollen statt nur gut auszusehen. Die Aprilia Tuono 457 stand Samstag früh vor meiner Garage, in „Apex Black“, noch warm vom Vorführer. Kein Messpark, keine Stoppuhr. Nur ich, mein Lieblings-Landstraßenloop und ein Thermobecher Kaffee.
07:19 Uhr – kühle Luft, trockener Asphalt
10 °C, klarer Himmel, leichter Dunst in den Senken. Odo zeigt 634 km – fast neu. Reifendruck kalt 2,3/2,5 bar (v/h), Kette frisch gefettet, das riecht man. Lenker fühlt sich natürlicher an als ich erwartet hatte: sportlich, aber nicht nach Handgelenksstrafarbeit. Sitzhöhe? Gut machbar (1,78 m, normale Beine), die schmale Taille hilft beim Abstützen an der Ampel.
Zündung an: TFT leuchtet schnell, keine Spielerei, gut ablesbar. Ich tippe mich durchs Menü: Road-Modus für den Anfang, Traktionskontrolle auf Stufe 2, ABS normal. Die ersten Meter im Wohngebiet sind leise – nicht „Elektroleise“, aber zivilisiert. Kupplung leicht, Getriebe mit einem kleinen „klack“, genau das will ich morgens hören.
Der Motor: kleiner Twin, großer Charakter
Raus aus der 50er-Zone, dritter Gang, knapp 50 km/h, Gas auf: Dieses 270-Grad-Zwilling-Gefühl – leichtes Stampfen untenrum, dann ein sauberer Zug durchs mittlere Drehzahlband und oben raus ein raues, herzhaftes Brüllen. Nicht laut, eher kernig. Genau die Sorte Ton, die dich anspornt, aber keine Nachbarn verärgert.
Die Aprilia Tuono 457 hat nicht den „Schockmoment“ eines großen Vierzylinders, dafür dieses elastische Ansprechverhalten: Millimeter Gas = Millimeter Vortrieb. Auf der Landstraße bedeutet das: aus Kehren früh öffnen, ohne dass das Heck zappelt. Ich erwische mich beim kurzen Hochschalten ohne Kupplung (geht sauber, auch ohne Quickshifter-Option, wenn man den Lastwechsel trifft). Wenn ich schludere, quittiert’s das Getriebe mit einem kleinen Haker – verdient.
Zwischendurch in den Sport-Modus gewechselt: direkteres Ansprechen, das Mapping fühlt sich straffer an, aber nicht ruppig. Für die Stadt lieber Road, für freie Wiesenhänge Sport. So einfach ist das.
Das Fahrwerk: ehrlich, straff genug, aber nicht hart
Mein Teststück Straße macht keine Gefangenen: Flickenteppich, Querrippen, eine fiese Bodenwelle im Schatten, die schon manchem Bike das Vorderrad nervös gemacht hat. Die Aprilia Tuono 457 bleibt gelassen. Vorn taucht sie berechenbar ein, hinten dämpft sie ohne Nachspringen. Kein „Pogo“, kein Schieben über die Linie. In schnellen Wechselkurven kippt sie willig auf die Kante, bleibt dort neutral, lässt sich anbremsen, ohne dass die Front zuckt.
Lenkwinkel? Für die Stadt absolut ausreichend. Ich habe die Gasse hinterm Bäcker als Wendeplatz missbraucht und musste nicht neu ansetzen. Auf der Landstraße ist die Rückmeldung genau mein Ding: nicht überanalytisch, aber präsent. Das Bike spricht mit dir – in ganzen Sätzen, nicht in Rätseln.
Aprilia Tuono 457 Bremsen & Elektronik: Helfer, die sich nicht wichtigmachen
Vorne: fester, gut dosierbarer Druckpunkt, die ersten 5 mm am Hebel sind „Information“, danach kommt Biss, aber ohne Kinnhaken. Hinten: endlich mal ein brauchbarer Fußbremshebel. Ich trailbreake gern minimal ins Eck hinein – klappt, ohne dass der Regelbereich hektisch wird. Einmal hat das ABS auf einer feuchten Blattspur kurz geklopft: sanft, rechtzeitig, unaufgeregt.
Die Traktionskontrolle hat im Sport-Modus auf Stufe 2 einmal gezupft, als ich zu früh zu gierig war. Das Zupfen war eher ein Tippen auf die Schulter: „Ein bisschen später, Chef.“ Genauso will ich das haben. Ride-by-Wire ist feinfühlig, kein Gummiband-Gefühl. Und ja: Tempolimits im TFT und die Grundbedienung sind logisch – seltenes Lob.
Ergonomie & Alltag: sportlich, aber menschlich
Die Ritzelabdeckung liegt frei – gut zum Saubermachen. Spiegel ragen über die Ellenbogen (Gott sei Dank), klar bis 130 km/h, danach eher Fahrwindthema als Vibration. Die Sitzbank ist fester als sie aussieht – nach 90 Minuten am Stück noch keine „links-rechts“-Choreo. Kniewinkel? Sportlich, aber ich musste nichts dehnen, um wieder abzusteigen. Die Tankform gibt top Halt am Knie, besonders hilfreich in langen Rechtskurven bergauf.
Kleines Detail, großes Grinsen: Der Lenkeinschlag ist nicht superbike-mickrig. Die 457 fühlt sich in der Stadt nicht wie Fehlbesetzung an. Und sie läuft kühl: 15 Minuten hinterm Trecker im Sonnental – kein Hitzestau am Schienbein, Lüfter hörbar, aber nicht peinlich.
Mini-Panne & Lernkurve (gehört dazu)
Ich habe mir beim Rausbeschleunigen aus einer engen Links den zweiten Gang nicht sauber gefangen. Kleiner Nicker, kurzer Ruck, dann drin. Komplett mein Fehler – schlampiger Fuß. Lehrstunde: die Tuono mag entschlossene Inputs. Gibt man ihr die, gibt sie dir Sauberkeit zurück.
Außerdem: einmal den Blinker vergessen. Passiert. Die Selbstabschaltung ist zurückhaltend – das ist mir lieber als übernervöses Ausblenden.
Sound & Vibes (die weichen Faktoren)
Die Aprilia Tuono 457 brummt unten, bellt oben – kein „Blechdosen“-Klang, eher ein raues Timbre mit Charakter. Mechanische Vibes? Leicht im Tank bei mittlerer Drehzahl, aber nicht taubmachend. Händeschlafen? Nein. Eher dieses „ich lebe“-Kribbeln, das man bei A2-Twin-Bikes oft will, weil’s nach Motorrad schmeckt.
Kleine Liste, die man nur nach einem Tag schreibt
- Kupplungshebel: angenehm kurzwegig, lässt sich fein dosieren im Stop-and-Go.
- Seitenständer: steht sicher, selbst am leicht schrägen Bordstein vor der Bäckerei.
- TFT-Helligkeit: bleibt in der Sonne lesbar, nachts nicht grell.
- USB-Ladepunkt: hat mein Handy durchgenudelt, ohne warm zu werden.
- Regenwolke: kurzer Schauer – Sitzbank bleibt griffig, keine Seifenlauge.
- Kettenspannung: nach dem Loop nochmal geprüft – stabil, nix gelängt (Kilo-neu eben).
Was ich ändern würde (und was ich lassen würde)
Ändern: Für den Winter probiere ich eine kleine Scheibe (ja, auch an einer Tuono), einfach um Nackenmüde an kalten Tagen zu sparen. Eventuell einen Satz Griffgummis mit etwas mehr Dämpfung, rein aus Komfortliebe. Wenn oft Sozius dabei ist: dickeren Sitzbank-Schaum für hinten.
Lassen: Serienbereifung für Landstraße top. Serienmapping passt. Serienübersetzung passt. Die Tuono 457 braucht keinen Zirkus, um Spaß zu machen.
Für wen sie Sinn ergibt
Wenn du gern fährst statt viel zu schrauben. Wenn deine Hausrunde Mix aus 70-bis-120-Kurven ist, keine Flachland-Autobahn. Wenn du A2-konform unterwegs sein musst (oder willst) und trotzdem ein Motorrad suchst, das erwachsen wirkt: Die Aprilia Tuono 457 ist genau daheim. Sie belohnt Sauberkeit am Lenker und Feingefühl am Gas, schreckt aber Anfänger nicht ab. Fortgeschrittene kitzelt sie – und sie wächst mit dir.
Wenn du nur Topspeed liebst, große Gänge, lange Geraden – falscher Film. Hier geht’s um Rhythmus.
Aprilia Tuono 457 Fazit nach einem Tag
Ich merkte gegen Nachmittag, dass ich seit einer Stunde nichts mehr „getestet“ habe. Ich bin einfach gefahren. Atem zählen in einer langen Rechts, Blick bis zum Ausgang, ein Tick mehr Gas dort, wo der Schatten endet. Die Aprilia Tuono 457 war einfach weg – im besten Sinne. Kein Allüren-Bike, kein Angeber. Ein Motorrad, das dich gut aussehen lässt, wenn du präzise bist, und dich sanft korrigiert, wenn du’s mal nicht bist.
Würde ich sie nehmen? Ja. Als Alltags-Landstraßen-Waffe mit Rückgrat und Charakter. Mit genug Gelassenheit für die Stadt und genug Biss für den Feierabend-Zacken. Und mit genau dem Klang, der im Helm noch zwei Kreuzungen später nachklingt.